Texte
Anita Brockmann, „Das Konzept motiviert mich zur Arbeit“,
Kunst und Material Nr 2/2012 (PDF)
Jens Asthoff Kunstforum International, Band 179 Februar-April, 2006
Anett Frontzek „Kunstpreis der Stadt Nordhorn 2005“ Städtische Galerie Nordhorn 19.11.2005–8.1.2006
Anett Frontzeks Zeichnungen, Papierschnitte und Künstlerbücher, in jüngerer Zeit auch Fotoarbeiten und Installationen, beziehen sich auf Anschauung von Landschaft. Die Trägerin des diesjährigen Kunstpreises der Stadt Nordhorn setzt ihr Thema überwiegend mittels topografischer Darstellungsformen ins Bild. Frontzek erfindet nichts, sie geht strikt von der systematischen Bestandsaufnahme örtlicher Gegebenheiten aus. Dabei verwendet sie zum Beispiel Stadtpläne, Landkarten oder architektonische Grundrisse und entwickelt auf dieser Basis visuelle übersetzungen, in denen aus puren, kartografisch erfassten Daten ein Stadt- beziehungsweise Landschaftsraum einerseits komplett abstrahiert erscheint, andererseits auch mit neuer, überraschender Anschaulichkeit in den Blick gerät. Oft entstehen solche Werke ihrer jeweiligen Bildlogik nach in zusammenhängenden Serien. Frontzek präsentiert sie dann in block- und reihenweiser Hängung, um diesen Zusammenhang lesbar zu machen. So erfährt, was als Einzelblatt abstrakt erscheint, im Kontext erweiterte Deutung: Grafisch ungegenständliche Elemente schlagen um in Markierungen mit Realitätsgehalt. Dabei sind es gerade diese Blickverzögerungen, dieses Schweben zwischen autonomer Ikonografie und kartografischer Repräsentation, die die spezielle Qualität in Frontzeks Landschaftsdarstellungen ausmachen. Man ahnt die Systematik und den Wirklichkeitsbezug, noch bevor man beides ganz durchschaut.
Trotz ausschließlicher Verwendung erhobener Daten und vorgefundener Charakteristika eines Geländes sind überlegungen, wie sich ein Areal denn überhaupt erschließen ließe, für Frontzek unweigerlich an den Aufenthalt vor Ort geknüpft: „Meine Untersuchungen beziehen sich auf reale Gegebenheiten, entstehen unter dem Einfluss des Ortes und der dort geführten Recherche,“ so die Künstlerin. Die 30-teilige schwarzweiße Zeichnungsserie „A Thousand Feet Above Sea-Level“ (1999–2000) zum Beispiel ist in Amsterdam entstanden und auf die Topografie der Stadt bezogen: 30 gerahmte Einzelblätter, blockweise so gehängt, dass optische Zusammenhänge sichtbar, aber nicht auf Anhieb lesbar werden. Aus vielteiliger Schwarzweiß-Reduktion liest man verzögert zwar so etwas wie ein Luftbild heraus, und man könnte angesichts der charakteristischen Grachtenstruktur, die sich in einigen der vertikalen Reihen abzeichnet, sogar den Ort erahnen. Eine optische Achse, die aber gleich mit der zweiten vertikalen Reihe wieder gebrochen wird – dort herrscht ein anderer Rhythmus, der sich aus weniger linear und kleinteiliger gefassten Strukturen entspinnt –, bevor sich erneut das erste Bildmuster, dann wieder das zweite anschließt. Der Titel verrät nichts über den dargestellten Ort, bewusst nennt Frontzek nur das Wie, nicht das Was dieses Blicks: „A Thousand Feet Above...“ – was auch immer also, betrachtet aus einer Höhe von 1000 Fuß. Eine Information, die auf reine Maßstäblichkeit reduziert. Dass dieses Luftbild nichtlinear und auch eigenartig lückenhaft erscheint, liegt daran, dass Frontzek zwei Darstellungsaspekte nebeneinander stellt. Schwarz auf Weiß hat sie einmal Wasser-, das andere Mal Grünflächen verzeichnet, wie sie im Zentrum Amsterdams zu finden sind. Das sind zum einen jene Grachten, aber auch Springbrunnen oder Teiche, zum anderen dann Parks und private Gärten. Letzteres vor allem Territorien, die man als Reisender normalerweise nicht zu Gesicht bekommt, weshalb das viele schwarz markierte Grün auf diesen Bildern zu Formen führt, die kaum ans Stadtbild Amsterdams erinnern. In zweidimensionaler Abstraktion ergänzen sich die beiden Aspekte dieser Zeichnungsserie, greifen ineinander, ohne dass sie restlos zur Deckung zu bringen wären – komplexe Bildmuster, die zwischen geometrisch-flächigen Strukturen und topografischer Information pendeln.
Auch das sechsteilige „Het Water“ (2000) greift dieses Thema auf. Blockweise gehängt, fügen sich die gerahmten Einzelblätter diesmal geschlossen zur Aufsicht auf die Kanäle Amsterdams. Frontzek verwendet das Verfahren des Papierschnitts. Stellen, die für Wasser stehen, positive Flächen also, hat sie aus dem Blatt herausgeschnitten und es anschließend lose auf ein weiteres weißes Blatt aufgebracht. So entsteht minimale Tiefe, also Abschattung und Raum, der mit der knappen Differenz des Weiß auf Weiß zugleich wie immaterialisiert erscheint.
Eine Variante dieses Verfahrens stellt die Arbeit „0,1–33 m unter NN (oder: Mecklenburger Bucht, östlicher Teil)“ von 2001 dar. Frontzek hat das großformatige Blatt durch kreisförmige Stanzung in drei Größen bearbeitet. Diese Größenunterschiede sind verschiedenen Tiefen der Ostsee zugeordnet, die innerhalb des im Titel genannten Areals und dort im Rahmen eines Toleranzbereichs von 0,1 bis 33 Metern unter Normalnull auftreten. Das alles ließe sich qua Legende unmittelbar ablesen, ein Landschaftsbild, gewonnen aus strikter Reduktion aufs eng begrenzte Informationsspektrum. Und doch wird es in dieser Umsetzung zu etwas visuell und haptisch Eigenständigem, zu einer abstrakten, luftig leichten Formation, die im Durchbrechen der zweidimensionalen Bildebene auch ihrerseits als Raumkonzept fungiert. Solche übertragung gegebener Topografie auf schlichte Formen voll bildhafter Eigendynamik raffiniert Frontzek in der fünfteiligen Serie „Trindelen, Mellenknob & Meer“ (2001) noch weiter. Die Blätter bilden eine Reihe, die man visuell sofort versteht, ihre konkrete Bedeutung aber erst entschlüsseln muss. Die Bildfolge bezieht sich auf ein Gebiet im Ostseeraum zwischen Falster und Darst. Frontzek entwickelt die Systematik anhand unterschiedlicher Höhen im gewählten Areal: Das erste Blatt heißt „über NN“ und zeigt Landflächen positiv, angrenzendes Wasser dagegen negativ und weiß. Die Darstellung verändert sich entsprechend bei „5 m unter NN“, dann bei „5,1–10 m unter NN“ usw. So verschieben sich von Blatt zu Blatt merkwürdig gewundene und kaum zu deutende schwarze „Grafit-Inseln“, und was auf dem einzelnen Bild als irreguläre Ausbreitung erscheint, wird innerhalb der Folge als Entwicklung lesbar, die auf nicht gleich greifbare, aber optisch offensichtliche Weise zusammenhängt. Eine geschickt herbeigeführte Verzögerung zwischen deutendem Auge und sehendem Verstand.
Neben zeichnerischen Verfahren kommt bei Frontzek ab 2004 auch Fotografie ins Spiel. In Nordhorn ist eine vierteilige Installation aus der Serie der „Rundblicke“ zu sehen. Frontzek hat 360-Grad-Aufnahmen angefertigt, die sie als Tintenstrahldrucke auf runde, frei im Raum hängende Metallgerüste aufzieht. Wer den Bannkreis dieser Werke betritt, steht in einem geschlossenen, auf Augenhöhe umlaufenden Bildraum. In der Ausstellung zeigt die Künstlerin drei räumlich zusammenhängende Innenansichten des Bahnhofs Halle/Neustadt und eine des Güterbahnhofs Nordhorn. Mit ersteren verbinden sich auch zwei großformatige Zeichnungen: „Der Gastronom“ und „Rascher zum Arbeitsplatz“ (beide 2005) heben vor Ort gefundenen Ost-Signets ins große Format und sind damit so etwas wie flankierende Auskoppelungen zur „Halle“-Serie.
In einem separaten Kabinett präsentiert Anett Frontzek eine große Anzahl ihrer Künstlerbücher. Dieser Werktypus spielt in ihrer Arbeit ein wichtige Rolle, da sie viele Projekte auch in Buchform zusammenfasst – ein weiterer übersetzungsschritt, in dem Frontzek ihre Transformation von Topografie, Bild und Wahrnehmungsraum noch einmal anders konfiguriert. -- Zum Ende der Ausstellung erscheint ein Katalog. Der Preis stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.
Kunstpreis der Stadt Nordhorn 2005 (Katalogtext)
Aus Zeichen werden Zeichnungen:
Die Ergründung des Verborgenen
in den Arbeiten von Anett Frontzek
Barbara Heinrich
Wir alle greifen tagtäglich auf bestimmte Systeme zurück, die uns bei der räumlichen Orientierung behilflich sind.
Jeder von uns verfügt über so genannte Mental Maps – räumliche und geografische Vorstellungen, die vor unserem geistigen Auge entstehen und derer wir uns bei der Organisation des Raums und der Bewegung im Raum bedienen. Ihren materiellen Ausdruck findet unsere Raumorganisation ganz konkret etwa in Stadtplänen, Vermessungskarten oder Grundrissen, aber auch in Wetterkarten oder Navigationshilfen wie GPS. Die Kenntnis des Raums ist eine Voraussetzung von Mobilität und Karten organisieren den Raum nach jeweils unterschiedlichen Kriterien. Eine Karte ist eine »versinnbildlichte Repräsentation geografischer Realität, die auf der Kreativität und den Entscheidungen eines Kartografen oder einer Kartografin beruht und bestimmte Aspekte und Charakteristika darstellt, um räumliche Beziehungen abzubilden«.1
Eine wesentliche Rolle bei der Interpretation von Karten und Plänen spielt ihre Historizität, das heißt die Zeit in der sie entstehen. Die jeweils zeitgebundene Wahrnehmung von Raum schlägt sich in ganz spezifischen Repräsentationen nieder, die nur gelesen werden können, wenn wir den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Diskurs der jeweiligen Zeit kennen. Von Bedeutung sind darüber hinaus die Herkunft und Ausbildung der Kartenproduzenten, denn ihre Arbeitsbedingungen, Kenntnisse und Informationsquellen, aber auch die Interessen ihrer Auftraggeber prägen die Inhalte, Stile und Themen der Karten. Man könnte
Karten ebenso als rhetorische Bilder bezeichnen, die nach bestimmten zeitspezifischen Codes entstehen; diese Codes umfassen aber nicht nur das Dargestellte, sondern gerade auch das nicht Gezeigte. Eine zentrale Stellung kommt der Konstruktion des Raums zu, denn jeder Kartograf steht vor dem Problem den darzustellenden Raum und die Raumbeziehungen auf eine ebene Fläche bannen zu müssen. Dies ist nur mit mathematischen Konstruktionen, maßstäblichen übersetzungen und Generalisierungen möglich, bei denen dennoch Verzerrungen entstehen. Konstitutiv bei der Erstellung von Karten sind auch die Wahl des Ausschnitts, die Benennungen und nicht zuletzt die jeweiligen Weltsichten. Ihre Prägung beschränkt sich nicht nur auf geografische Vorstellungen, sondern hier vermitteln sich auch Werte und Normen der jeweiligen Produzenten – man denke nur an die Einteilung in Norden und Süden, oben und unten.
Karten, Pläne und Grundrisse sind nicht das Abbild einer gegebenen Realität, sondern legen vielmehr deren Konstruktion offen. Sie repräsentieren bestimmte Sicht-Weisen der Welt – Sichtweisen, die wir gewohnt sind und deshalb bewusst gar nicht mehr wahrnehmen.
Die Arbeiten der 1965 geborenen Künstlerin Anett Frontzek beschäftigen sich mit eben diesen Sichtweisen und man könnte ihre ungewöhnliche Vorgehensweise als die einer Forscherin in der Welt der Kartografie bezeichnen. Dabei ist das Reisen essentieller Bestandteil ihrer Arbeit. Ihre Werke entstehen ausschließlich in Bezug auf die realen Gegebenheiten des jeweiligen Aufenthaltsortes und vor dem Hintergrund der dort geführten intensiven Recherchen.
Das Ausgangsmaterial der Künstlerin sind bereits vorhandene abstrahierte räumliche Aufzeichnungssysteme, wie etwa die Grundrisszeichnungen gotischer Backsteinkirchen, Stadtpläne oder Seekarten. Anett Frontzek nimmt diese Systeme auseinander, zerlegt sie in ihre einzelnen Bestandteile, isoliert ihre Zeichen und Codes, spürt ihre grafischen Strukturen auf. Indem sie mit unterschiedlichen formalen Mitteln wie Zeichnung, Skulptur, Papierschnitt oder Künstlerbuch die gefundenen Zeichen und Strukturen wieder-gibt, macht sie nicht nur die Konstruiertheit der untersuchten Systeme sichtbar, sondern verleiht vielmehr den einzelnen Elementen eine eigene Bedeutung, die nichts mehr mit dem ursprünglichen System zu hat. Und sie geht noch einen Schritt weiter: Durch Reihung oder Kombination einzelner Elemente lässt die Künstlerin völlig neue Bedeutungssysteme entstehen, die nun nicht mehr der Orientierung dienen, sondern neue Sichtweisen eröffnen. Anett Frontzek erfindet nicht – sie findet. Und gelangt über eine charakteristische und sehr reduzierte, meist zeichnerische Form zu überraschenden, auf den ersten Blick abstrakten Darstellungen von großem Reiz.
Exemplarisch für Frontzeks künstlerische Strategien ist die Werkreihe Rund um die norddeutsche Backsteingotik. Anlässlich eines Stipendienaufenthaltes 1995/96 im mecklenburgischen Künstlerhaus Schloss Plüschow beschäftigte sich die Künstlerin mit dem Phänomen der Backsteingotik. Das Bauen mit Ziegeln – also aus Lehm, Ton oder tonigen Massen geformten, luftgetrockneten oder gebrannten Erzeugnissen – fand seit vorgeschichtlichen Zeiten Verwendung und über Jahrtausende bestimmte dieses Material
in weiten Teilen Asiens und Europas das Bild der örtlichen Architektur. In Norddeutschland entwickelte sich ab Mitte des 12. Jahrhunderts ein eigener Stil, die Backsteingotik. Von den Niederlanden bis zum Deutschordensgebiet entstand eine Fülle von in Backstein errichteten Kirchen, Burgen, Schlössern, Rathäusern und Stadttoren. Die Normierung der Ziegel gab dabei das Maurermaß vor und damit in besonderer Weise die Proportionen und strukturellen Gegebenheiten der Architektur bis hin zu den Details.
Das Interesse von Anett Frontzek am Baustoff Ziegel kommt nicht von ungefähr, lag doch der Schwerpunkt ihres Kunststudiums auf der keramischen Plastik. Für bereits vorhandene Formgebungs- und Brennverfahren entwickelte sie spezielle keramische Materialien und in der Kombination mit ihrem Interesse an geschlossenen und hierarchisch gegliederten Innenräumen entstand damals die Werkgruppe der »Behälter und Kästen«. Der Schritt zur Auseinandersetzung mit sakralen Architekturformen lag also nahe und so widmete sich die Künstlerin der Untersuchung von Grundrissen norddeutscher Backsteinkirchen, die einen eigenen Typus des gotischen Sakralbaus darstellen. Die gezeichneten Grundrisse der vier von ihr untersuchten Kirchen (St.Georgen, St.Marien und St.Nikolai in Wismar sowie St.Marien in Lübeck) wurden zunächst in jeweils zehn architektonische Fragmente zerlegt, zum Beispiel Chor, Haupt- und Seitenschiffe, Westwerk oder die Anordnung der Pfeiler. Diese
freigelegten visuellen Zeichen bearbeitete Frontzek dann mit unterschiedlichen Medien weiter. So entstanden Zeichnungen (Graphit auf Papier), in denen einzelne architektonische Elemente zweidimensional als spiegelbildliche Paare wiedergegeben sind, oder Skulpturen aus Keramik, die eben diese Elemente als dreidimensionale Körper definieren. Im nächsten Schritt kombinierte die Künstlerin nach einer vorgegebenen Systematik dann in vier so genannten Kompendien die erwähnten zehn Fragmente jeder einzelnen der vier Kirchen immer neu, so dass sich offene architektonische Formen ergaben, die zum einen immer noch Teile der gegebenen Grundrisse sind und zugleich Vorschläge für eine andere Lesart von Architektur darstellen. Eine Weiterführung dieser Systematik bilden die Papierschnitte und
die Künstlerbücher, in denen die Kombination oder Reihung des immer gleichen Fragments ein sich nach allen vier Seiten gleichmäßig ausdehnendes offenes System ergibt, das auch als ornamentales Muster oder Rapport gelesen werden kann und sich endlos weiterführen ließe. Das freie Spiel mit den Formen führt so zu ganz neuen Ordnungen.
Anett Frontzeks Arbeiten entstehen nicht im Sinne einer voranschreitenden Differenzierung, sondern als beharrliche und konzentrierte Bearbeitung einmal aufgeworfener Fragestellungen, wobei bereits erarbeitete formale Grundmuster und Gestaltungsprinzipien immer neu variiert werden. Im Jahr 1999 entstand der Amsterdamzyklus. Die Künstlerin hielt sich für mehrere Monate in Amsterdam auf und beschäftigte sich intensiv mit den Besonderheiten der urbanen Struktur, die stark vom Leben mit und am Wasser geprägt ist. Die Auseinandersetzung erfolgte anhand von kartografischem Material, aus dem Frontzek zum einen nur die Wasserflächen und zum anderen die öffentlichen und privaten Grünflächen des Stadtzentrums herauslöste. Unter dem Titel a thousand feet above sea-level entstand eine 30-teilige Serie von Schwarzweiß-Zeichnungen, die das Verhältnis dieser Flächen wiedergeben. Die Zeichnungen sind paarweise angeordnet, wobei die linke jeweils die Wasserflächen (Grachten, Springbrunnen oder Gartenteiche) und die rechte jeweils die öffentlichen und privaten Grünflächen desselben Stadtgebiets zeigt. Die Wasser- oder Grünflächen sind in Graphit ausgeführt, die ausgesparten weißen Flächen bezeichnen das, was nicht gezeigt wird, nämlich die eigentliche urbane Struktur mit ihren architektonischen Elemen-ten. Indem Frontzek diese Räume frei lässt, schafft sie Raum für die Projektion unserer Vorstellungen von Stadt. Zu diesem Zyklus gehören wieder mehrere Künstlerbücher und auch Papierschnitte, in denen die erwähnten Wasser- beziehungsweise Grünflächen ausgeschnitten sind, so dass man gleichsam durch das System hindurch auf ein Dahinter blicken kann. Mit der Vermessung von Wasserflächen beschäftigt sich auch die Arbeit Ostsee-Stücke, bei der die Künstlerin ein ähnliches Verfahren anwendet, aber zu einem völlig anderen bildnerischen Ergebnis gelangt. Die Arbeit an diesem Zyklus begann im Jahr 2001 während eines Studienaufenthaltes im Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop. Seekarten der Ostsee und Recherchen in der Bibliothek des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie bilden die Grundlage für Zeichnungen, Papierarbeiten und Künstlerbücher zur geographischen und hydrographischen Situation an der Mecklenburgischen Ostseeküste zwischen Falster und Darst. Die seriellen zeichnerischen Untersuchungen widmen sich zum Beispiel der Darstellung des Verhältnisses von Plantagenetgrund und Meer in einem Gebiet zwischen Rügen und Møn. Oder es werden systematisch bestimmte Tiefenverhältnisse erfasst und nebeneinander gestellt, wie in der fünfteiligen Serie Trindelen, Mellenknob & Meer. Das erste Blatt ist mit über NN betitelt und das schwarze Graphit bezeichnet die Landmassen, während die ausgesparten weißen Flächen für das Wasser stehen. In den folgenden Zeichnungen kehrt sich die Darstellung um: Wasser bis zu fünf Meter Tiefe, zehn Meter Tiefe und so weiter ist schwarz dargestellt, Landmassen und tiefere Wasserschichten bleiben weiß. Schicht um Schicht wird hier freigelegt, was üblicherweise im Verborgenen liegt. In zwei Künstlerbüchern hat die Künstlerin den östlichen Teil der Mecklenburger Bucht in besonderer Weise dargestellt. Das erste Buch gibt bestimmte Tiefenverhältnisse in Form von unterschiedlich großen, auf Transparentpapier gedruckten grauen Punkten wieder, die für 5 m unter NN oder 5-33 m unter NN stehen. Dazwischen markieren Punkte aus rotem Filz die Lage von Schiffswracks. Im zweiten Buch sind ebenfalls verschiedene Tiefenverhältnisse durch unterschiedlich große Punkte markiert, die hier allerdings gestanzt sind. Wie so oft bei Frontzeks Arbeiten erahnt man bei den Ostsee-Stücken den Wirklichkeitsbezug noch bevor man die konkrete Bedeutung der einzelnen Blätter erfasst hat, die sich erst über die Titel erschließt. Man neigt als Betrachter vielmehr dazu, in den abstrakten Formen etwas ganz anderes zu lesen als das, was tatsächlich dargestellt ist. Von Verborgenem handelt auch die Arbeit Schöne Aussichten oder: Ich sehe was, was du nicht siehst. Sie wurde anlässlich eines Entwurfswettbewerbs für Kunst am Bau für das Justizzentrum Kassel entwickelt und im Jahr 2003 realisiert. Das Justizzentrum liegt an der Schönen Aussicht, einer Promenade, die an einer Hangkante gelegen den übergang der Kasseler Innenstadt zum weitläufigen Gelände des Aueparks markiert. Mit der Aussicht ist es allerdings nicht weit her, die Sicht auf die Innenstadt ist durch Bebauung, die Sicht auf das Fuldatal durch Bepflanzung versperrt. Hier setzt der Entwurf von Anett Frontzek an – bei der Frage nämlich, was man tatsächlich sieht. Ausgangspunkt ist kartografisches Material der Wasserflächen, Wasserwege und Fußwege des Flusses Fulda und der Karlsaue. Die zeichnerische Darstellung dieser Flächen wurde als sandgestrahlte Grafik auf die Innenseite von Glasscheiben übertragen, die eine Verbindungsbrücke zwischen Neubau und altem Baubestand der Justizbehörde bilden. Die Scheiben sind so montiert, dass die Darstellung der Wasserläufe und Wege in Blickrichtung der tatsächlichen Wasserläufe und Wege zeigt. In die Senkrechte gekippt, erscheinen die Zeichnungen allerdings als abstrakte grafische Strukturen, die bei Sonnenschein zudem wie flüchtige Schattenrisse auf den Boden der Verbindungsbrücke und die Körper von Vorübergehenden projiziert werden. Als »Stadtansichten« offenbaren sich die Zeichnungen allenfalls dem ortskundigen Betrachter und das auch nur in der Außenansicht. Steht man im Inneren sind immer nur Details wahrnehmbar und zugleich verstellt die Zeichnung (durch Mattierung des Glases) den Blick auf das Außen: Ich sehe was, was du nicht siehst. So wird die Zeichnung zur Projektionsfläche für geistige Bilder und Visionen, sie verstellt den Blick auf das Sichtbare und gibt den Blick auf das Imaginäre frei. Die Untersuchung des Verhältnisses von Gesamtansicht und Detail intensiviert Anett Frontzek in den jüngeren Arbeiten, die mit dem Titel Rundblicke bezeichnet sind. Der Begriff Panorama (Rundblick) leitet sich ab von den griechischen Wörtern »pan«, das heißt »alles«, und »horaein«, das heißt »sehen«. Die heutige Bedeutung im Sinne der Gesamtübersicht oder Rundschau entstand im späten 18. Jahrhundert als der Ire Robert Barker mit seinem »all embracing view« die Zentralperspektive der Malerei in Rundgemälden – Gemälden ohne Grenzen also – aufhob. Mit einer durchgezogenen Horizontlinie stellte er den Betrachter in eine neue Bildhierarchie und vermittelte dem Kunsterlebnis die Täuschung der unmittelbaren Teilnahme. Die bis zu 2000 Quadratmeter großen Leinwände verlangten eine eigenständige Architektur und so entstanden Rundbauten, in denen illusionistische Schaugemälde – Landschaften, Seestücke, Städtebilder oder historische Schlachten – ausgestellt wurden. Die Architektur dieser Rundbauten nimmt Anett Frontzek für ihre Rundblicke wieder auf. Die Auseinandersetzung mit einem Ort und seinen Gegebenheiten erfolgt hier allerdings nicht durch das Medium Zeichnung, sondern vielmehr mittels der Fotografie. Frontzeks Rundblicke sind keine massiven Baukörper, sondern leichte Gebilde aus Aluminium, die im Raum schweben. In diese Rundlinge sind 360°-Bildmontagen als Farbdrucke auf Papier einmontiert, die transparent scheinen und das im Inneren Abgebildete nach außen erahnen lassen. Will man aber genauer sehen, muss man förmlich in diese Gebilde eintauchen, nur um dann festzustellen, dass man mit ganz gewöhnlichen und alltäglichen Orten konfrontiert wird. Die ersten drei Panoramen zeigen die Eingangshalle und den 400m langen Bahnsteig des Bahnhofs Halle/Neustadt. Er wurde gebaut, um täglich bis zu 10000 Arbeiter in die Chemiewerke von Buna und Leuna zu transportieren und ist seit 1989 nur noch eingeschränkt in Betrieb. Das vierte Panorama zeigt die Gleisanlage des Nordhorner Bahnhofs und verweist auf die Tatsache, dass der Personennahverkehr hier aus Rationalisierungsgründen 1974 eingestellt wurde. Es ist verblüffend, wie sich diese beiden weit voneinander entfernt liegenden Orte nicht nur in ihren genormten Gleisanlagen, in ihrer Architektur und Geschichte, sondern auch in ihrer Tristesse und ihrem vernachlässigten Zustand ähneln. Die vermeintlich zentrale Position des Betrachters im Rundblick relativiert sich schnell: Man steht zwar in der Mitte eines 360°-Horizonts, erfasst allerdings nie mehr als einen begrenzten Ausschnitt. Die Aneinanderreihung von Einzelbildern ergibt aber noch kein Ganzes. Das Dargestellte ist in seiner Gesamtheit nur zu erfahren, wenn sich der Betrachter aus dem Panorama heraus denkt, allerdings um den Preis, die Einzelheiten der Darstellung nicht mehr konkret wahrnehmen zu können. Der eigentliche »Rundblick« entsteht erst jenseits des Panoramas: In der Verknüpfung von Orten, geographischen Besonderheiten, Architektur und abgebildetem Geschehen mit eigenen Erfahrungen und Vorstellungen des Betrachters. Die Arbeiten von Anett Frontzek untersuchen allgemeine geographische, architektonische und urbane Systeme und deren Besonderheiten und Details, um von dort aus den Blick wieder zu öffnen für größere und vielfältigere Zusammenhänge. Denn der Kanon, auf den wir uns bei der Betrachtung der Welt geeinigt haben, verstellt den Blick auf ihre Besonderheiten. Diesen Eigenheiten wieder Raum zu geben gelingt Anett Frontzek auf ausgesprochen originäre und poetische Weise. Aus Zeichen werden Zeichnungen, die die Vielfalt der Welt jenseits von ordnenden Systemen sichtbar machen.
1 Ute Schneider, Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2004, S. 7.
Anett Frontzek – Kunstpreis der Stadt Nordhorn 2005 (Katalogtext)
Signs Turning Into Designs:
Uncovering That Which Lies Hidden in the Works of Anett Frontzek
Barbara Heinrich
Every day, we all resort to certain systems to help us in our spatial orientation. Everyone of us disposes of so-called mental maps, spatial and geographic concepts that appear before our inner eye and which we use when organising a space and moving within a certain space. Organisation of space materialises in definite expressions such as city maps, route surveying
or ground plans, but also in weather charts or navigation aids such as GPS. A knowledge of the space is the prerequisite of one´s mobility; maps organise space according to various criteria. A map is an „emblematic representation of geographic reality and is based on both the creativity and the decisions of the cartographer; it represents certain aspects and characteristics in order to project relations within a space.“1
When interpreting plans and maps, their historicity, i.e., the time during which they were drawn up, plays an important role. The conception of space is connected with the time of its formation, which is mirrored in specific representations that can only be read if we know the specific social, political and economic issues of the period at question. Furthermore, attention should be paid to the origins and education of the producers of maps, because their working conditions, knowledge and sources of information as well as the interest of the clients influence the contents, style and topics of the respective maps. Maps might also be described as rhetorical images that develop according to certain codes defined by time; these codes not only apply to that which is shown, but also to that which is not shown. The construction of space takes on a central position here, because every cartographer faces the problem of having to ban the space to be depicted as well as the relations within this space on-to an even plain. This is only possible through mathematic constructions, translations into a certain scale and through generalisation; and yet, distortions arise. When drawing up a map, the choice of detail, the denominations and, last but not least, the particular world view are constitutive. They not only influence geographical perceptions, but offer a glimpse of the values and norms of the respective producer - only consider the classification into North and South, Top and Bottom.
Maps, charts and ground plans are not an image of a given reality, but rather present a construction thereof. They represent certain ways of seeing the world – views we are used to, which is why we hardly ever apprehend them.
The works of Anett Frontzek, born in 1965, are occupied with just these views; in fact, her unusual approach could be termed as that of an explorer in the world of cartography. Travelling is an essential part of her work. Her creations are entirely connected to the real living conditions she finds herself in and on the basis of the intense research done in situ.
The artist´s starting material consists of already existing abstracted systems of recording space such as the ground plan of a Brick Gothic church, city maps or nautical charts. Anett Frontzek takes these systems apart, disassembles them into their single components, isolates their signs and codes, traces their graphical structures. By rendering these signs and structures with varying formal means such as design, sculpture, papercut or artist´s sketchbook, she not
only displays the design behind the system at question but, moreover, renders the single elements their own specific meaning which has no connection anymore with the original system. And she takes it one step further: by combining single elements or placing them in a certain order, the artist develops completely new systems of meaning, which no longer serve
orientation, but instead open new perspectives.
Anett Frontzek does not discover, she uncovers. Her works, in the main part drawings, are idiosyncratic and very reduced, and result in very fascinating images that at first sight seem to be abstract.
Rund um die norddeutsche Backsteingotik (All About Northern German Brick Gothic) is a series that is exemplary of Frontzek´s artistic strategies. During a scholarship in 1995/96 the artist was staying in the artists´ house Schloss Plüschow, Mecklenburg, and there she occupied herself with the phenomenon of Brick Gothic architecture. Building with bricks – in
other words, with products made of formed, dried or burnt clay or related soil – has been practised since prehistoric times. For centuries, this building material characterised local architecture in large parts of Asia and Europe. In Northern Germany, in the mid-12th century a distinctive style was developed, the Brick Gothic. Stretching from the Netherlands to the areas of the Teutonic Order (Deutschorden) in Eastern Europe, a host of churches, castles, fortifications, town halls and gates were constructed of brick. The standardised size of the bricks determined the masons´ scale, in other words, it influenced the proportions and structures of the architecture right through to the small details.
It is no coincidence that Anett Frontzek occupied herself with bricks as a building material, since the focus of her studies lay on ceramic sculpture. She developed special ceramic materials for already existing methods of forming and burning and, combined with her interest in closed and hierarchically structured interiors, she came up with the series of works called „Behälter und Kisten“ (Containers and Boxes). It was not a large step to turn towards sacral forms of architecture, and so the artist dedicated herself to exploring the ground plans of Northern German brick churches, which are a very distinct type of Gothic sacral buildings. The sketched ground plans of the four churches she analysed (St. Georgen, St. Marien and St. Nikolai in Wismar as well as St. Marien in Lübeck) were at first decomposed into ten architectonic fragments, for example, choir, nave and side aisles, western aisle or the structure of the pillars. Frontzek would then further process these uncovered visual signs using various media. Designs were made (graphite on paper) where single architectural elements are presented as two-dimensional couples mirroring each other; or she would form sculptures made of ceramic which defined these same elements as three-dimensional bodies. In the next step, the artist would follow a system defined in advance, and again and again combine the above-mentioned ten fragments of each of the four churches in four so-called compendiums,
resulting in open architectural forms that on the one hand are still parts of the given ground plans and yet offer examples of a new understanding of architecture. The papercuts and artist´s sketchbooks are a continuation of this system, where by repetitious combining of the same fragment or by setting it in a certain order, an open system arises that extends evenly to all four sides and might also be recognised as an ornamental pattern or a rapport and could thus be continued endlessly. The unlimited game with the forms thus leads to entirely new systems.
The works of Anett Frontzek are not developed in the sense of a growing differentiation, but through an insisting and concentrated handling of a set of issues once posed. Already elaborated formal basic patterns and principles of design are repeated in ever new variations. In 1999, the Amsterdamzyklus was created. The artist spent several months in Amsterdam and intensely studied the particularities of this urban structure, which is heavily defined by life with and alongside the water. She tackled cartographic material, on the one hand cutting out only the space covered by water, and one the other the public and private parks of the city centre. A 30-part series of black-and-white sketches was made, called a thousand feet above sea-level, which reproduces the proportions of these spaces. The sketches are grouped in pairs with the left side containing the water spaces (canals, fountains and garden ponds) and the right side showing the public and private gardens of that specific part of town. The water and garden spaces are elaborated in graphite while that is left white which is not shown, i.e., the urban structure and its architectural elements. By leaving these spaces blank, Frontzek makes room for projections of our own ideas of a city. Yet again, several artist´s sketchbooks and papercuts are also part of this cycle; here, the above-mentioned water and park areas are cut out, so that you can see through the system, looking onto what is behind. Ostsee-Stücke (Baltic Sea Pieces) is also focused on the survey of water spaces. Here, the artist uses a similar method and yet the outcome is entirely different. Work on this cycle began in 2001, while she was spending time studying in the artists´ house Lukas in Ahrenshoop. The basis of these drawings, paper works and artist´s sketchbooks about the geographic and hydrographic situation of the Baltic Sea coast between Falster and Darst, in Mecklenburg, was built up of nautical charts of the Baltic Sea and research done in the library of the Federal Maritime and Hydrographic Agency (BSH). For example, the series of sketched analyses are occupied with representing the proportion of Plantagenetgrund und Meer (Plantagenetgrund and Sea) in the area between Rügen and Møn. Or she would collect and juxtapose varying proportions of depth, for example in the five-part series Trindelen, Mellenknob & Meer. The first sheet is titled über NN (Above Sea Level); the black graphite illustrates the land masses while the white spaces left blank represent the water. In the following drawings, the representation is exactly opposite: water with a depth of up to five metres, ten metres and so on is depicted in black, while the land masses and those areas of deeper water are left blank. Layer by layer, that is uncovered here which usually lies hidden. The eastern part of the Mecklenburg Bay is represented in two artist´s sketchbooks in a very unusual way. The first book shows certain proportions of depth through grey dots printed on transparent paper and varying in size, depending on whether they illustrate 5 m below sea level or 5 to 33 m below sea level. In between, dots made of red felt indicate the location of shipwrecks. The second book also shows varying proportions of depth, only this time the dots in different sizes are punched out. As happens so often with Frontzek´s works, the relation to reality dawns upon the viewer looking at the single sheets of the Ostsee-Stücke even before one has actually understood the concrete meaning, which is disclosed by the titles. Moreover, the viewer tends to read something entirely different in these abstract forms than that which is actually represented. The work Schöne Aussichten oder: Ich sehe was, was du nicht siehst (Nice Views or: I Spy Something You Don´t) also treats the clandestine. It was developed for a design competition on ´art on a structure´ of the Justice Centre in Kassel and was carried out in 2003. The Justice Centre is situated on Schöne Aussicht (nice view), a promenade on a hillside marking the transition from the city centre of Kassel to the extended grounds of the Auepark meadows. However, there isn´t much of a view at all, since the view of the city centre is blocked by structures and the view of the Fulda River valley is blocked by plants. This is where Anett Frontzek´s design starts off: with the question of what you actually see. Her point of departure here was cartographic material of water-covered areas, rivulets and footpaths along the Fulda River and the Karlsaue meadows. On a pictorial level, these areas were transferred by sand-blasting the design onto the inner side of glass panes which make up a connecting bridge between the new and old buildings of the judicial authority. The panes are mounted such that the representation of the flowing water bodies and the footpaths are situated in the same direction as the existing watercourses and paths. However, when overturned into the horizontal, these drawings appear as abstract graphical structures, and when the sun shines, they even project onto the floor of the connecting bridge and the bodies of the passers-by walking across it, like fleeting silhouettes. Only an onlooker who knows the city well would recognise the drawings as „city panoramas“ and even only when seen from the outside. Standing inside, one only ever grasps the details. At the same time, through the deadening of the glass panes, the drawings obscure the views of the outside: I spy something you don´t. This is how the drawing turns into a projection area for mental images and visions, concealing the view of that which is visible and opening the view for the imaginary. In her recent works, Anett Frontzek has increasingly surveyed the relation between general view and detail. These works are called Rundblicke (Panoramas). The term „panorama“ derives from the Greek word „pan“, which means „everything“, and „horaein“, meaning „to see“. The term as we use it today, meaning a general view or a look around, was coined in the late 18th century by Irishman Robert Barker, who with his „all embracing view“ revolutionised cycloramas by abolishing the central perspective for the sake of paintings without any limits. With the help of a horizontal line drawn through, he placed the onlooker into a new hierarchy within the painting, thus introducing a deceptive feeling of immediate partaking in the experience of art. The huge canvas, which were up to 2,000 square metres in size, required a specific architecture, so circular structures were developed specifically for exhibiting illusionist paintings of landscapes, maritime pieces, city panoramas or of historic battles. For her Rundblicke, Anett Frontzek picks up the architecture of these circular buildings. However, here she does not tackle a lieu and its given characteristics through the medium of drawings, but rather uses photography. Frontzek´s Rundblicke are no massive structures, but light entities made of aluminium which float in the space. Into these circular structures, 360° photo montages are mounted as colour prints on paper which are transparent so that from the outside one can guess at that which is shown on the inside. But those who want to see more clearly virtually have to squeeze themselves into these structures, only to be confronted with quite ordinary and everyday locations. The first three panoramas show the entrance hall and the 400-m long platform of Halle/Neustadt train station. It was built to transport up to 10,000 workers a day to the chemistry factories of Buna and Leuna and has been offering reduced services since 1989. The fourth panorama shows the railway lines of Nordhorn and points to the fact that in 1974 shortdistance public transport was abolished here to rationalisation. It is astonishing how similar these two places are despite the long distance that separates them. Not only does this concern the standardised arrangement of the tracks, their architecture and history, but also their dismal looks and neglected state. The would-be central position of the onlooker within the Rundblick is quickly put into perspective: one might be standing in the centre of a 360° horizon, but never manages to perceive more than a limited detail. However, adding one picture to the next does not make a whole. The entire dimension of the depicted object can only be grasped if the onlooker removes him- or herself in his or her thoughts from the panorama, which, however, is done at the cost of not being able to see the concrete details of the display. The „cyclorama“ as such only comes to existence beyond the panorama, when places, geographical features, architecture and the proceedings depicted are connected with the onlooker´s personal experiences and imaginations. The works of Anett Frontzek analyse general geographical, architectural and urban systems, including their peculiarities and details, only to then open the eye for the larger and more manifold interrelations. The canon we have adopted when looking at the world blocks our view for the noteworthy features. Anett Frontzek manages in a very original and poetic way to give these peculiarities their due space. Signs turn into designs which bring back to view the variety of the world beyond organising systems. 1 Ute Schneider, Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2004, p. 7.
Dr. Holger Birkholz
Katalogtext aus dem Katalog „Tortur & Methode“
zur gleichnamigen Ausstellung von Anett Frontzek und Barbara Wrede
in der Galerie Nord, Berlin Tiergarten, September 2000
Anett Frontzek
Die hier gezeigten graphischen Arbeiten von Anett Frontzek beziehen sich alle auf ein Zeichensystem, das aus den Grundrißzeichnungen gotischer Backsteinkirchen abgeleitet ist.
Architekturzeichnungen sollen es ihrem Benutzer ermöglichen, sich ein weitestgehend genaues Bild über den Aufbau eines Gebäudes zu verschaffen. Oft genug weisen sie jedoch Unterschiede in den verwendeten Zeichen auf. Die Art und Weise, wie zum Beispiel ein Kreuzrippengewölbe im Gegensatz zu einem Kreuzgradgewölbe in einer solchen Zeichnung eingetragen ist, kann in den Plänen je nach Zeichner und Anspruch der Zeichnung völlig unterschiedlich sein.
Anett Frontzek geht es jedoch weniger um die Beziehungen zwischen Grundrißzeichnung und tatsächlichem Baukörper, als vielmehr um den Aufbau der Zeichnung an sich. Das Ausgangsmaterial für ihre Arbeit ergab sich aus der Betrachtung der Grundrisse von vier gotischen Kathedralen. Aus den Bauzeichnungen hat sie einzelne Motive herausgelöst und vereinheitlicht.
Es sind die Zeichen für das Gewölbe, die Wände, die Säulen und den Umriß der Kirche. Dieser Zeichenvorrat ermöglicht es, aufgrund der jeweils eigenen Gestalt der Zeichen, bestimmte Zeichensysteme zueinander in Beziehung zu setzen. Dabei werden in den von der Künstlerin gestalteten Büchern alle möglichen Variationen durchgespielt: Zunächst erscheinen die Zeichen alleine, dann in Zweierkombinationen und so weiter bis sich das komplette System zu einem Bild, dem Grundriß der Kirche ergänzt.
Die Autonomie dieser Zeichen als Zeichnung erprobt sie in immer neuen Varianten. Als monumentale graphische Struktur erscheinen sie isoliert, mit Graphit gezeichnet, auf großen Blättern. Die Massivität des Zeichens wird durch die Größe der Zeichnung gesteigert. Ihre dunkle, matt glänzende Oberfläche gibt ihr den Anschein von Schwere. Als Zeichen verweisen sie auf den Grundriß des Turmkomplexes der Kirchen. Man könnte demnach hier auch von einer übertragung der Tragkraft der Grundmauern mit ihrer beachtlichen Stärke in die monumentale Anlage der Zeichnung sprechen, wenn die Zeichen nicht auch in anderen Zusammenhängen wieder auftauchen würden.
In ihnen ergibt die spielerische Reihung der Zeichen eine gleichmäßig das Blatt überziehende Struktur, welche die selben Mauern nun ganz leicht erscheinen läßt. Die Bildung solcher ornamentalen Strukturen geschieht bei Anett Frontzek unter strikter Wahrung der Ordnung, indem ein Komplex Graphiken ausschließlich auf Elemente zurückgreift, die zu einer Kirche gehören. Dabei ergeben sich vier unterschiedliche Komplexe nach den vier untersuchten Kirchen: St. Georgen, St. Nikolai, St. Marien in Wismar und St. Marien in Lübeck.
Die Verwendung der Zeichen für die Zeichnung von ornamentalen Strukturen, die man sich in jede Richtung unendlich fortgesetzt vorstellen kann, löst sie weitgehend von ihrem ursprünglichen Verweischarakter. Sie erscheinen zwar in einem Umfeld mit den anderen Ornamenten, die aus den Elementen des gleichen Kirchengrundrisses gebildet werden, das Zeichen an sich wird jedoch nicht mehr in seinem ursprünglichen Sinne verwendet, sondern bildet in unendlicher Wiederholung Muster. Das Ornament verläuft zudem nicht parallel zu den Blattseiten sondern liegt schräg. Auf diese Weise wird die mögliche unendliche Fortsetzung der Ausdehnung des Ornamentes verstärkt. Die angeschnittenen Elemente weisen über die Blattkanten hinaus. Innerhalb der jeweiligen Komplexe kommen, wie bereits in den Büchern, die Zeichen zur Deckung. Die Muster stehen auf dem Transparentpapier, durch welches das Darunterliegende sichtbar wird. Auf diese Weise wird die Bildhaftigkeit der Zeichnung gewonnen: Die unterlegte Zeichnung erscheint in malerischem Grau. Der Titel dieser Arbeiten besteht aus einer mathematischen Formel, die ganz schlicht für die unendliche Wiederholung von Zeichen steht.
Eine andere Umsetzung der Grundrißzeichen findet sich in den Schnitten, die ebenfalls das aus dem Zeichen gebildete Muster zur Grundlage haben. Was sich in den Graphiken und Zeichnungen als schwarze Figur findet, ist hier aus dem Blatt ausgeschnitten. Auf diese Weise gewinnt das Ornament eine Leichtigkeit, die in völligem Gegensatz zum ursprünglichen Sinnkomplex des Zeichens steht. Der Massivität der Mauern des Gebäudes tritt die Leere der ausgeschnittenen Figur entgegen. Dort, wo im Grundriß die Wände eingezeichnet sind, ergibt sich in der Umsetzung des Musters durch den Schnitt ein Durchblick. Die architektonischen Zeichen, die Anett Frontzek für diese Schnitte verwendet, entsprechen den Grundmauern der Chorpartien der Kirchen, also demjenigen Teil, der bei gotischen Kathedralen durch seine besondere Lichtdurchlässigkeit besticht.
Die Schnitte werden hier mit den großformatigen Graphitzeichnungen konfrontiert. Massiv gezeichnet oder ausgeschnitten markieren diese Blätter die beiden entgegengesetzten Verfahren, mit denen Anett Frontzek ihre Architekturzeichen umsetzt.
Die hier gezeigten graphischen Arbeiten von Anett Frontzek beziehen sich alle auf ein Zeichensystem, das aus den Grundrißzeichnungen gotischer Backsteinkirchen abgeleitet ist.
Architekturzeichnungen sollen es ihrem Benutzer ermöglichen, sich ein weitestgehend genaues Bild über den Aufbau eines Gebäudes zu verschaffen. Oft genug weisen sie jedoch Unterschiede in den verwendeten Zeichen auf. Die Art und Weise, wie zum Beispiel ein Kreuzrippengewölbe im Gegensatz zu einem Kreuzgradgewölbe in einer solchen Zeichnung eingetragen ist, kann in den Plänen je nach Zeichner und Anspruch der Zeichnung völlig unterschiedlich sein.
Anett Frontzek geht es jedoch weniger um die Beziehungen zwischen Grundrißzeichnung und tatsächlichem Baukörper, als vielmehr um den Aufbau der Zeichnung an sich. Das Ausgangsmaterial für ihre Arbeit ergab sich aus der Betrachtung der Grundrisse von vier gotischen Kathedralen. Aus den Bauzeichnungen hat sie einzelne Motive herausgelöst und vereinheitlicht.
Es sind die Zeichen für das Gewölbe, die Wände, die Säulen und den Umriß der Kirche. Dieser Zeichenvorrat ermöglicht es, aufgrund der jeweils eigenen Gestalt der Zeichen, bestimmte Zeichensysteme zueinander in Beziehung zu setzen. Dabei werden in den von der Künstlerin gestalteten Büchern alle möglichen Variationen durchgespielt: Zunächst erscheinen die Zeichen alleine, dann in Zweierkombinationen und so weiter bis sich das komplette System zu einem Bild, dem Grundriß der Kirche ergänzt.
Die Autonomie dieser Zeichen als Zeichnung erprobt sie in immer neuen Varianten. Als monumentale graphische Struktur erscheinen sie isoliert, mit Graphit gezeichnet, auf großen Blättern. Die Massivität des Zeichens wird durch die Größe der Zeichnung gesteigert. Ihre dunkle, matt glänzende Oberfläche gibt ihr den Anschein von Schwere. Als Zeichen verweisen sie auf den Grundriß des Turmkomplexes der Kirchen. Man könnte demnach hier auch von einer übertragung der Tragkraft der Grundmauern mit ihrer beachtlichen Stärke in die monumentale Anlage der Zeichnung sprechen, wenn die Zeichen nicht auch in anderen Zusammenhängen wieder auftauchen würden.
In ihnen ergibt die spielerische Reihung der Zeichen eine gleichmäßig das Blatt überziehende Struktur, welche die selben Mauern nun ganz leicht erscheinen läßt. Die Bildung solcher ornamentalen Strukturen geschieht bei Anett Frontzek unter strikter Wahrung der Ordnung, indem ein Komplex Graphiken ausschließlich auf Elemente zurückgreift, die zu einer Kirche gehören. Dabei ergeben sich vier unterschiedliche Komplexe nach den vier untersuchten Kirchen: St. Georgen, St. Nikolai, St. Marien in Wismar und St. Marien in Lübeck.
Die Verwendung der Zeichen für die Zeichnung von ornamentalen Strukturen, die man sich in jede Richtung unendlich fortgesetzt vorstellen kann, löst sie weitgehend von ihrem ursprünglichen Verweischarakter. Sie erscheinen zwar in einem Umfeld mit den anderen Ornamenten, die aus den Elementen des gleichen Kirchengrundrisses gebildet werden, das Zeichen an sich wird jedoch nicht mehr in seinem ursprünglichen Sinne verwendet, sondern bildet in unendlicher Wiederholung Muster. Das Ornament verläuft zudem nicht parallel zu den Blattseiten sondern liegt schräg. Auf diese Weise wird die mögliche unendliche Fortsetzung der Ausdehnung des Ornamentes verstärkt. Die angeschnittenen Elemente weisen über die Blattkanten hinaus. Innerhalb der jeweiligen Komplexe kommen, wie bereits in den Büchern, die Zeichen zur Deckung. Die Muster stehen auf dem Transparentpapier, durch welches das Darunterliegende sichtbar wird. Auf diese Weise wird die Bildhaftigkeit der Zeichnung gewonnen: Die unterlegte Zeichnung erscheint in malerischem Grau. Der Titel dieser Arbeiten besteht aus einer mathematischen Formel, die ganz schlicht für die unendliche Wiederholung von Zeichen steht.
Eine andere Umsetzung der Grundrißzeichen findet sich in den Schnitten, die ebenfalls das aus dem Zeichen gebildete Muster zur Grundlage haben. Was sich in den Graphiken und Zeichnungen als schwarze Figur findet, ist hier aus dem Blatt ausgeschnitten. Auf diese Weise gewinnt das Ornament eine Leichtigkeit, die in völligem Gegensatz zum ursprünglichen Sinnkomplex des Zeichens steht. Der Massivität der Mauern des Gebäudes tritt die Leere der ausgeschnittenen Figur entgegen. Dort, wo im Grundriß die Wände eingezeichnet sind, ergibt sich in der Umsetzung des Musters durch den Schnitt ein Durchblick. Die architektonischen Zeichen, die Anett Frontzek für diese Schnitte verwendet, entsprechen den Grundmauern der Chorpartien der Kirchen, also demjenigen Teil, der bei gotischen Kathedralen durch seine besondere Lichtdurchlässigkeit besticht.
Die Schnitte werden hier mit den großformatigen Graphitzeichnungen konfrontiert. Massiv gezeichnet oder ausgeschnitten markieren diese Blätter die beiden entgegengesetzten Verfahren, mit denen Anett Frontzek ihre Architekturzeichen umsetzt.
Marcel Bucher Willisauer Bote, 30.4.2004, 49. Ausgabe
Vom Ort geprägte Kunst
Die deutsche Künstlerin Anett Frontzek lebt und arbeitet im Atelier der Stadtmühle Willisau
„Atelier“ ist neben dem Klingelknopf zu lesen. Mit einem metallischen Klicken öffnet sich die Tür, nachdem Anett Frontzek „jeden verfügbaren Knopf“ gedrückt hat, wie sie selber sagt. Die freiberufliche Künstlerin aus Deutschland ist seit vier Wochen zu Gast im Atelier der Stadtmühle Willisau. Ein Schälchen Willisauer Ringli steht auf dem Tisch. Frontzek ist dabei, Einladungskarten für ihre Veranstaltung vom 3. Mai zu schreiben. Die Karte zeigt ein verfremdetes Foto aus dem Basler Bahnhof – passend zum Titel: „Von Nord nach Süd, eine Kartographie der besonderen Art“. Unter diesem Gesichtspunkt stellt Anett Frontzek am 3. Mai dem Publikum in der Stadtmühle ihr Schaffen vor. Die fiktive Reise durch Frontzeks Werk beginnt in Norddeutschland; Ziel ist Willisau.
Beobachtungen künstlerisch auswerten: So könnte man stark vereinfacht die Arbeit der 39jährigen Deutschen beschreiben. Aber Anett Frontzek warnt: „Es ist schwierig, meine Arbeit verbal zu vermitteln.“ Trotzdem hat sie viel zu erzählen, wählt dabei sorgfältig ihre Worte, lässt sich Zeit. Und ist eine sehr aufmerksame Zuhörerin. Als Interviewer fühlt man sich ab und zu fast in der Rolle des Befragten. Diese Aufmerksamkeit und Genauigkeit ist in Anett Frontzeks Werken wieder erkennbar. Sämtliche Arbeiten basieren auf Beobachtungen vor Ort: „Ich untersuche, beobachte, suche interessante Aspekte und bereite diese visuell auf“, erklärt die Künstlerin. Strukturen sind dabei wichtig. Es kann sich etwa um soziale, architektonische oder städtebauliche Strukturen handeln. „Meine künstlerische Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass ich den Ort und dadurch auch das Thema wechsle.“ Bei variierender Technik sind die Werke immer schwarz-weiß und nie realistisch abbildend. Zeichnungen gehören dazu, Papierschnitte, aber auch großflächige Kunst am Bau. Jedes Projekt fasst Frontzek in einem Künstlerbuch zusammen – ein für sie wichtiges Medium, „weil es den ganzen Werkkomplex zeigt.“ Das Element Wasser tritt in den meisten Werken auf. „Das Wasser ist irgendwann in meiner Arbeit aufgetaucht“, sagt Frontzek. „Ob es Zufall ist oder Prägung – ich weiß es nicht“. Auch in Willisau hat Anett Frontzek Wasser gefunden – wohnt sie doch direkt am Mühlebach. „Es irritiert mich“, schmunzelt die in der flachen Lüneburger Heide aufgewachsene Künstlerin, „dass das Wasser hier immer von oben kommt, aus den Bergen.“ Frontzek ist in der Schweiz erstmals in ihrem Leben von Bergen umgeben. Berge faszinieren die Künstlerin. Aus ihrem „wunderbaren Kasten“ zückt sie eine Postkarte vom Matterhorn. Der Karteikasten beinhaltet eine Postkartensammlung, fein säuberlich geordnet. Auch hier sucht Frontzek nach Strukturen.
Begonnen hat alles zufällig mit einer Postkarte, die sie in der Bibliothek gefunden hat. Dann hat eine Willisauer Einwohnerin einen ganzen Stoß vorbeigebracht.
Die Sammelleidenschaft ist geweckt und Frontzek hofft, weitere Postkarten zu erhalten: Gesucht sind Ansichtskarten, die man irgendwann von irgendwoher aus der Schweiz zugeschickt erhalten hat. Anett Frontzek freut sich über jedes Exemplar, das für sie in der Stadtmühle abgegeben wird. Die Postkarten helfen ihr, Reiseziele in der Schweiz zu finden. „Ich will hinfahren und schauen, wie ich die fotografierten Landschaften erlebe. Ich möchte wissen, wie man woanders lebt“. Aus der Postkartensammlung könnte so der nächste Werkzyklus entstehen.
„Jedes neue Projekt ist ein Wagnis“, erklärt Anett Frontzek. „Ich weiß trotz intensiver Vorbereitungen nicht, was mich an einem Ort erwartet.“ Genau dieses Risiko mache ihre Arbeit spannend, weil es Lebendigkeit ermögliche, so die Künstlerin. „Mein Optimismus muss aber Wurzeln haben. Ich brauche meine Vorbereitungsarbeit, um das Risiko einzugrenzen.“ Gleichzeitig müsse sie offen sein für den neuen Ort: „Sonst müsste ich nicht mehr reisen. Ich will den Zufall einfangen!“ Ganz nebenbei – „aus reiner Neugier“ – möchte Frontzek auch überprüfen, ob gewisse Klischees bezüglich der Schweiz stimmen. Nicht Schokolade und Berge, sondern Pünktlichkeit und Höflichkeit. Sie selbst übt gerade korrekt „grüezi“ sagen.